Zu einem Jahresgespräch hatte Innenminister Peter Beuth Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf und den Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen – Landesverband Hessen, Siegbert Ortmann, in das Hessische Ministerium des Innern und für Sport geladen.
Der Minister interessierte sich dabei besonders für die Arbeit des BdV als des größten Vertriebenenverbandes in Hessen in den aktuell besonderen Zeiten der Corona-Pandemie. Er hob die Bedeutung des Themas „Heimatvertriebene und Spätaussiedler“ hervor, denn nahezu ein Drittel der hessischen Bürgerinnen und Bürger hätten selbst oder über die familiäre Abstammung ein Vertreibungs- oder Aussiedlerschicksal. „Wir alle wissen, wie sehr die Heimatvertriebenen ihre neue Heimat bereichert, was sie kulturell mitgebracht und auch ökonomisch geleistet haben. Sie hatten einen wesentlichen Anteil am politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau unseres Landes. Dass wir dieses Miteinander und die Eingliederungsleistung heute als Selbstverständlichkeit betrachten, gehört zweifellos zu den großen Errungenschaften der deutschen Nachkriegsgeschichte. Was wir in Jahrzehnten geschaffen haben, dürfen wir nicht innerhalb von Jahren wieder vergessen. Deshalb müssen wir die Erinnerung lebendig halten. Dies ist nicht nur die Pflicht der Heimatvertriebenen, Flüchtlinge, Deportierten und ihrer Nachkommen, sondern die Pflicht von uns allen“, so der Minister.
Erfolgreiche Umsetzung zahlreicher Projekte
Siegbert Ortmann, Vorsitzender des BdV-Landesverbandes Hessen, zog eine positive Bilanz über die Arbeit seines Verbandes. So sei es gelungen, verschiedene Projekte auf den Weg zu bringen, die auch in Zeiten von Covid-19 umgesetzt werden konnten. Er dankte dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) für die finanzielle Förderung der Projekte. Corona habe der Digitalisierung im Themenbereich „Flucht und Vertreibung“ sogar einen kräftigen Schub verliehen. Als Beispiele nannte der Landesvorsitzende die Erstellung von Webseiten, viele neue digitale Formate wie Auftritte auf Facebook und Instagram, virtuelle Ausstellungen, Podcasts und YouTube-Projekte. „Dies alles sind beeindruckende Beispiele dafür, dass auch in den speziellen Zeiten der Corona-Pandemie Projekte umgesetzt werden können, von denen wir langfristig profitieren werden“, unterstrich Ortmann. Ganz besonders wichtig sei ihm die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Verbandes.
Als konkrete Projektbeispiele seien unter anderem der Interview-Podcast „Culture to go“ genannt, in dem der BdV Themen wie Flucht, Vertreibung, Aussiedlung und das kulturelle Erbe in den ehemaligen Siedlungsgebieten anspricht. Dies geschieht in Gesprächen mit Zeitzeugen, deren Enkeln und auch mit Experten. Diese Podcast-Reihe wurde im vergangenen Jahr mit rund 3.900 Euro durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport gefördert.
Nachhaltiger Ausbau der Verbandsstrukturen
Ebenfalls unter dem Namen „Culture to go“ betreibt der BdV Hessen einen YouTube-Kanal. Hier werden Videos zu verschiedenen Kategorien veröffentlicht. Bei den „Kochgeschichten“ bereiten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen typische Gerichte aus ihrer alten Heimat zu und berichten dabei über das Vertreibungsschicksal ihrer Familie. In der Video-Kategorie „Mitgenommen – Objekte erzählen Geschichte(n)“ präsentieren die Zeitzeugen ein bestimmtes Objekt, welches sie an ihre alte Heimat erinnert und daher eine besondere Bedeutung für sie hat. In der Filmreihe „Hessens Vertriebenengeschichte(n)“ stehen im Fokus Betriebe, Einrichtungen und Persönlichkeiten, die einen Vertriebenenhintergrund aufweisen. Die Produktion der Videos konnte im Jahr 2021 durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport mit ca. 17.500 Euro gefördert werden.
Weiterhin betonte Siegbert Ortmann, dass die BdV-Landesgeschäftsstelle gut aufgestellt sei und qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit modernen Arbeitsplätzen habe. Die Geschäftsleitung bilde mit dem BdV-Vorstand ein hervorragendes Team. Gemeinsam mit den hauptamtlich Beschäftigten seien die ehrenamtlichen BdV-Landesvorstandsmitglieder bestens gerüstet, die satzungsgemäßen Verbandsstrukturen der heutigen Zeit anzupassen und für die Zukunft nachhaltig auszubauen. In diesem Zusammenhang war es Herrn Ortmann ein Anliegen zu betonen, wie wichtig und wertvoll das ehrenamtliche Engagement in der Vertriebenenarbeit sei. Dafür wünsche er sich mehr Sichtbarkeit.
Deutsch-Europäische Bildungswerk in Hessen (DEBWH)
Als weiteren Punkt erwähnte er, dass das Deutsch-Europäische Bildungswerk in Hessen (DEBWH), welches 1990 auf Initiative des BdV-Landesverbandes Hessen gegründet wurde, im Jahr 2020 auf sein 30-jähriges Jubiläum zurückblicken konnte. Leider konnte auch dieses Ereignis aufgrund von Corona nicht gebührend gefeiert werden. Daher wurde eine Festschrift mit einer kleinen Verzögerung herausgegeben, welche Landesvorsitzender Ortmann, der seit Juli 2020 auch Vorsitzender des DEBWH (zuvor stellv. Vorsitzender) ist, Herrn Staatsminister Beuth und Frau Landesbeauftragter Ziegler-Raschdorf überreichte. „Ziel und Anspruch des DEBWH ist es, durch Aufklärung, Kontakte und Begegnungen zu einer Verständigung, einem entspannten Umgang und letztendlich zur Versöhnung der deutschen Bewohner aus den Vertreibungsgebieten mit der dortigen Bevölkerung beizutragen. Die über 100 verständigungspolitischen Reisen wurden dankenswerterweise von der Bundesregierung finanziell unterstützt, wobei hervorzuheben ist, dass das Hessische Ministerium des Innern und für Sport die Festschrift mit knapp 6.000 Euro sowie bereits 2020 den Aufbau eines neuen und modernen Webauftritts mit rund 3.700 Euro gefördert hat“, so der Landesvorsitzende Ortmann.
Innenminister Beuth dankte Herrn Ortmann für seine Ausführungen und würdigte den BdV Hessen für seine großartige Verbandsarbeit. Als BdV-Landesvorsitzender vertrete er kraftvoll die Belange der Heimatvertriebenen und habe den Verband neu strukturiert sowie zukunftsfähig aufgestellt. „Getreu dem Motto – Das Unrecht nicht verdrängen, sondern mutig benennen und gleichzeitig den Blick nach vorne richten – hat der hessische Landesverband mit ihm an der Spitze die regelmäßigen verständigungspolitischen Aktivitäten in die früheren Ostgebiete des Deutschen Reiches und die angestammten Siedlungsgebiete in Ost-, in Mittel- und Südosteuropa ausgebaut.“
Ein großer Verdienst geht auch an alle Ehrenamtlichen
Außerdem bekräftigte der Minister die hohe Wertschätzung für die Arbeit der Ehrenamtlichen, die unverzichtbar sei und nicht hoch genug eingestuft werden könne. Es seien die Ehrenamtlichen, die sich – zum Teil sogar Zeit ihres Lebens – dafür einsetzten, das historische und kulturelle Erbe ihrer Heimat zu bewahren. Auch zeichne sie das unbedingte Streben zur Mitwirkung an einem in Frieden und Freiheit zusammenlebenden Europa aus, die Durchbrechung des unseligen Kreislaufs von Menschenrechtsverbrechen, den Kreislauf von Rache und Vergeltung, wofür die Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950 ein eindeutiger und bedeutsamer Beweis sei. „Die Vertriebenenverbände sind somit ein nicht mehr wegzudenkender Teil unserer Gesellschaft geworden“, wie Staatsminister Beuth hervorhob.
Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf unterstrich ihrerseits, dass sich dank der Erhöhung der Fördermittel der BdV-Landesverband erheblich besser personell aufstellen konnte, was zu einer Professionalisierung und Verstetigung seiner Arbeit geführt und zeitgemäße, insbesondere digitale Projekte ermöglicht habe. „Das ist großartig und sichert eine moderne, attraktive Fortentwicklung bei der Vermittlung unseres gemeinsamen Anliegens. Es erhöht die Aufmerksamkeit und Akzeptanz auch bei Manchem, der bisher dem Thema vielleicht eher skeptisch gegenüberstand. Der Aufgabenbereich Flucht und Vertreibung schüttelt damit sein bisweilen eher ‚verstaubt‘ empfundenes Image ab und beweist auch nach 76 Jahren seine weiterhin hochaktuelle Bedeutung für das Geschichts- und Gesellschaftsverständnis in unserem Land“, so Margarete Ziegler-Raschdorf.
Nächster Schritt: ein neues Digitalportal
Sie betonte zudem, dass alle vom BdV Hessen beantragten Projekte bewilligt werden konnten, was großartig und ein eindeutiger Beleg für die starke und verlässliche Vertriebenenpolitik in Hessen sei. Dabei stehe die Autonomie des BdV Hessen als ehrenamtlicher Verband außer Frage, werde von der Hessischen Landesregierung respektiert und vollumfänglich unterstützt.
Am Ende waren sich alle Anwesenden darüber einig, dass es weiterhin Aufgabe sei, zu überlegen, wie man sich künftig aufstellen wolle, um dem gesetzlichen Auftrag gemäß Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes zum Erhalt der Kultur der Vertreibungsgebiete auch in den kommenden Jahren nachkommen zu können. Schließlich sei es gemeinsames Ziel, dass der Vertriebenenarbeit auch in Zukunft der Stellenwert beigemessen werde, den sie heute schon erreicht habe. Dazu beitragen soll auch ein neues Digitalportal, welches sich mit „Flucht und Vertreibung im globalen Kontext“ beschäftigen wird und für das der BdV-Hessen bereits Fördergelder beim Hessischen Ministerium des Innern und für Sport beantragt hat. Denn Kenntnisse über die Kultur der historischen deutschen Ostgebiete und das Wissen um die Ereignisse von Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg müssten für jeden Bürger und jede Bürgerin, jeden Schüler und jede Schülerin zur Bildungs-Grundausstattung gehören.